The Urchins*
Schon als Achtjähriger hatte Burkhard Wied seinen Spi
tznamen weg: Weil er damals, im Jahr 1958, ständig die aktuellen Hits von Peter Kraus und Conny sang, meinte CVJM-Jugendscharleiter Ulrich Zeeten: „Du bist ein richtiger Tinni“ – gemeint war natürlich „Teeny“, aber vor fast sechs Jahrzehnten war der richtige Gebrauch der englischen Sprache noch nicht überall im Siegerland durchgedrungen. Es blieb also bei „Tinni“, der einige Jahre später mit seinen Freunden Bernd „Eckes“ Eckhard (Rhythmus-Gitarre), Dieter „Akku“ Fries (Bass) und Heinz „Henner“ Strunk (Schlagzeug) die Beatgruppe The Urchins gründete.
„Angestiftet“ dazu wurden sie nicht nur von den Scheiben, die sie täglich auf dem Plattenspieler hörten, sondern ganz besonders von der in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Weidenauer Musikkneipe „Romantica“. Hier bestaunten die vier „Schmuddelkinder“, so die deutsche Übersetzung des Bandnamens, die überwiegend aus Überseeholland kommenden Gruppen, auch von den „Starclub“-Gastspielen etwa der Phantom Brothers, von Ray Charles und Johnny and The Hurricanes in der noch jungen Siegerlandhalle waren die Vier begeistert. Nachdem Tinnis älterer Bruder Jockel und das Musikhaus Horn den noch Minderjährigen beim Kauf von
Instrumenten beigestanden hatten und der Schulorchester-erfahrene Gerhard Willm (Gesang, Sologitarre) zu den Urchins gestoßen war, wurde „geübt, geübt, geübt“, wie sich Tinni (Gesang, Orgel, Gitarre) erinnert. Jetzt kam auch der Punkt, wo es Gerhard Willm begann, Spaß zu machen. Burkhard Wied: „Begonnen haben wir mit ,Hang On Sloopy‘ von den McCoys.“ Im Juni 1966, nach einem London-Aufenthalt bei Urlaubsbekannten und einem Besuch im legendären Marquee-Club und den an diesem Abend dort auftretenden, sehr guten Bands, von denen man zuvor nichts gehört hatte, fanden die fünf zwar, es wäre wohl besser, die Musik an den berühmten Nagel zu hängen. Doch wieder zu Hause angekommen wurde diese Erfahrung als Ansporn zu höherer Leistung im Umgang mit den Instrumenten verstanden.
Der Schwerpunkt lag zu Beginn auf dem englischen Rhythm & Blues“, zum Programm gehörten vor allem Titel der Stones, der Animals, der Spencer Davis Group und der Small Faces, später kamen, dem Trend der späten Sixties folgend, Soul-Hits unter anderem von Wilso
n Pickett und Sam & Dave sowie Songs des später durch seinen Woodstock-Auftritt erst richtig bekannt gewordenen Joe Cocker, von Jimi Hendrix und anderen angesagten Gruppen wie den Bee Gees und den Troggs dazu. Die Urchins traten dabei in Tanzkneipen wie dem „Dahlbrucher Hof“ und im Eichener „Exotica“, in der Bismarckhalle, in der Stadtbühne und in der Siegerlandhalle auf. Burkhard Wied: „Später wurden die Angebote durch eine Vermittlung lukrativer. Wir spielten überwiegend in Hessen, zum Beispiel in Ewersbach, Limburg, Stadt-Allendorf und Wölfersheim, in einigen Orte im Westerwald und auch in Laasphe und Berleburg im damals noch selbstständigen Wittgenstein.“ Im Raum Limburg war dabei Tinni bei den dort stationierten amerikanischen Soldaten besonders beliebt, weil er einige Soullieder sang – ohne Englischkenntnisse, aber mit Hilfe von Heinz und Gerhard, die die Originaltexte gut mitgehört hatten.
Nach etwa drei Jahren, in denen die Urchins mehrfach wöchentlich aufgetreten waren, stellten sich Ermüdungserscheinungen ein. Schließlich waren die Freunde mittlerweile voll berufstätig, Gerhard Willm hatte ein Studium in Münster begonnen und fiel damit als Frontmann aus. Tinni: „Jochen Friese (Sologitarre) kam in die Band und wir spielten noch einige Zeit weiter, auch mit Gastauftritten von Gerhard Will.“ Das war mit dem 20. Januar 1969 jäh zu Ende, als die Nachricht von Gerhards Tod – er wurde nur 19 Jahre alt – kam: „Das traf uns wie ein Hammerschlag.“
![]() | Besetzung 1967 / 68 / 69: Gerhard Willm |