Wolfgang Neuser
75 Sekunden auf der Kirchenorgel von Blankenese
Es war Heinz-Gerd Lütticke, der spätere Manager der "Scorpions", der sich bei den "Mushrooms" um organisatorische Dinge kümmerte, und er war es auch, der Wolfgang Neuser zu "Birth Control" vermittelte: "Er hatte viele Kontakte, rief immer und überall bei anderen Managern an und hatte so erfahren, dass die Gruppe einen Keyboarder suchte."
Mit ihr spielte Neuser im Herbst 1972 ihr erfolgreichstes und bekanntestes Album ein: "Hoodoo Man". Der Siegener Musiker im Gespräch mit der WR: "Wenn man alle Verkäufe, also auch die CDs, zusammenrechnet, hätte sie sicher längst Platin-Status erreicht." Dass Lütticke Kontakt mit den drei verbliebenen Musikern von "Birth Control", die bei Gießen zuhause waren, aufgenommen hatte, wusste Neuser gar nicht: "Er hat mich zum Vorspielen dorthin gefahren. Das habe ich gemacht, habe die Frage, ob ich auch komponieren könne, mit ,Ja´ beantwortet - und war engagiert." Was folgte, waren harte neun Monate: "Birth Control war eine Tourband. Deutschland rauf und runter, Frankreich, Schweiz." Was zuerst neu und reizvoll war, schleifte sich allerdings schnell ab. Die Konzerte liefen immer nach dem gleichen Muster ab, und "bei den Festivals trafen wir immer die gleichen Kollegen: Frumpy, Karthago, Nektar -irgendwann wurde es langweilig."
Gerne denkt Neuser allerdings an die Aufnahme zu "Hoodoo Man" in den Windrose-Studios in Hamburg zurück. Birth Control hatte mit Bodo Albes gerade einen neuen Manager, der die Band beim Branchenriesen CBS unterbrachte. "Das war ein völlig ungewohntes Gefühl: Man musste nur einen Wunsch äußern, und wenn er nicht ganz außer der Reihe war, wurde er auch erfüllt." Zum Beispiel, als Neuser das Mittelteil des Titelsongs unbedingt auf einer Kirchenorgel statt auf seiner Hammond spielen wollte: "Dafür wurde tatsächlich die Kirche in Blankenese für einen Nachmittag gemietet." Der Siegener Multiinstrumentalist - mittlerweile beherrschte er auch Synthesizer und Vibraphon - spielte die etwa 75 Sekunden lange Sequenz ein und traute anschließend seinen Ohren nicht: "Als ich fertig war, nahmen unsere Techniker noch den in der Kirche verklingenden Hall auf. Und dann ging draußen jemand vorbei und pfiff laut und vernehmlich den Anfang des damaligen Hitparadentitels ,Popcorn´. Zuerst wollten wir es als Gag in der Aufnahme drin lassen, haben dann aber im Studio doch einen neuen Hall darüber gelegt."
Start am Schlagzeug der Cavemen
Mit einer solchen Karriere konnte Neuser nicht rechnen, als er Mitte der sechziger Jahre Barbara Lohmann am Schlagzeug der "Cavemen" ablöste: "Ich weiß noch, wie sich die drei Petruck-Brüder, die in der Nachbarschaft wohnten, allesamt rote Gitarren kauften. Auch ihr Sonor-Schlagzeug war rot. Sie übten zwei, dreimal die Woche, ich erinnere mich an Stücke von den Shadows und den Spotnicks." Da die Petrucks wussten, dass Neuser Schlagzeug spielte, durfte er einspringen, wenn Barbara mal nicht mitproben konnte. Und als die Drummerin schwanger wurde, stieg Neuser voll ein. Das Thema Schlagzeug war für Neuser bald erledigt: "Im Moulin Rouge habe ich mal eine Profitruppe mit Orgel gesehen. Leider weiß ich den Namen nicht mehr." Die Mushrooms, wie die Cavemen schon hießen, sparten sich eine Orgel zusammen.
Mit Lichtshow und Trockeneis
"Fortan änderten wir unser Programm: Nun spielten wir psychedelische Musik, Doors-Stücke zum Beispiel - mit Lightshow, Trockeneis und allem, was dazu gehörte." Nachdem er 1969 bei einem Bluesfestival in Essen Eddie Hardin von Hardin & York und Keith Emerson von Nice auf Hammond-Orgeln hatte spielen sehen, bekam auch Neuser ein Instrument dieses Fabrikats. 1970 stieß er dann in Herdorf auf ein Vorkriegsmodell.
Heute steht diese Hammond "T" im Keller seines Hauses in Geisweid, in dem Neuser eine Praxis für Psychotherapie betreibt. In sein Studio zieht er sich oft nach Feierabend zurück, bastelt ausschließlich für den Hausgebrauch Sounds am Computer, wobei ihn sein Bruder Thomas - er spielt seit 20 Jahren Gitarre und Keyboards in der Gruppe "New Orleens" - hin und wieder unterstützt.
Album in Discos getestet
Mit "Hoodoo Man" war Wölle Neuser an einer der markantesten Produktionen des Deutsch-Rock beteiligt - über das Maß hinaus, das die Hinweise auf dem Album erahnen lassen: Neuser war der Autor der Stücke, zu denen mit "Gamma Ray" eine der Hymnen der auch als "Kraut-Rock" bezeichneten Musikrichtung gehörte.
Rainer Petruck erinnert sich noch an die Diskussionen, als er und die anderen Mushrooms erstmals die Lieder von des "Birth Control"-Albums hörten: "Uns allen war klar: Das waren Stücke, die wir zumindest in Teilen mit ,Wölle´ gespielt hatten, als er noch bei uns war." Und auch an Kompositionen, die Neuser für "Eternal Light" schrieb, lehnten sich später die "Hoodoo Man"-Songs an. Trotzdem wird als Autor bis heute Birth Control-Gitarrist und -Sänger Bruno Frenzel genannt. "Als ich bei der Gruppe anfing, war Frenzel der einzige von uns, der bei der GEMA registriert war. Weil die Anmeldung dort relativ kostspielig war, stimmte ich zu, dass Bruno als Autor angegeben wurde," blickt Neuser zurück. Natürlich hat er im Laufe derJahrzehnte hin und wieder daran gedacht, seine Urheberrechte einzuklagen. Auf eine juristische Klärung hat er aber letztendlich verzichtet - auch, weil nicht Bruno Frenzel, sondern die Plattenfirma von Neusers Kompositionen profitierte: "Wir hatten alle Einkünfte aus ,Hoodoo Man´ an CBS übereignet, damit die Band finanziell überhaupt wieder auf die Beine kam." Daran, dass die Scheibe ein so großer Renner werden würde, hatte vor den Aufnahmen im Herbst 1972 niemand gedacht. Das änderte sich allerdings: "Als wir ,Gamma Ray´ im Kasten hatten, haben wir das Band abends häufiger mit in Discos mitgenommen. Da haben wir schnell mitbekommen, dass das Stück immer wieder verlangt wurde und wohl ein großer Erfolg werden würde."
Begonnen hat Neusers Karriere übrigens in einer Band an der Realschule am Oberen Schloss.
Nachruf von Wolfgang Thomas zum Tod von Wolfgang Neuser:
Trauer in der Siegener Rockszene: Mit dem Orgelspieler Wolfgang Neuser ist am Donnerstag, 5. April, einer ihrer profiliertesten Musiker im Alter von 67 Jahren gestorben. Im Siegerland spielte er unter anderem mit den Mushrooms und Eternal Light zusammen, in Erinnerung ist aber vor allem sein Engagement bei der legendären Krautrockgruppe Birth Control geblieben. Neuser gehörte zwar 1972 und 1973 nur knapp ein Jahr dazu, war aber maßgeblich an den Songs des Kult-Albums „Hoodoo Man“, vor allem an dem Klassiker „Gamma Ray“, beteiligt.